Prof. Dr. Wolfgang Becker

Zu den Silhouettenschnitten der Dorthe Goeden

Schattenrisse und Scherenschnitte gehören in Asien und Europa zur überlieferten Volkskunst. Sie zeigen historische Köpfe und erzählen Märchen und Geschichten. Wenige Künstler der letzten Jahrzehnte haben das aggressive Schwarz-Weiß der Schattenrisse aufgegriffen, um Kritik und Proteste zu formulieren. In meiner Erinnerung taucht als erster Felix Droese mit den monumentalen Schnitten aus Verdunkelungspapier und ihren markanten Titeln wie „Anpassung und Widerstand“, „Hunde, die den Stock lecken, der sie prügelt“ oder „Wer erschoss den amerikanischen Botschafter in Kabul“ von 1979 auf. Die grob geschnittenen Papiere hingen als Manifeste lose an den Museumswänden. Der Südafrikaner William Kentridge baute Schattenfiguren als bewegliche Bilder über Projektionen in Dunkelräume ein und erzählte dramatische politische Geschichten aus seiner Heimat und über sie hinaus. Und die Afro-Amerikanerin Kara Walker benutzte die schwarzen Silhouetten auf schwarzem Grund kämpferisch und konsequent als Sprache, die den Rassismus der Weißen geißelt. Ich blättere gern in ihrem Pop-Up-Buch „Freedom. A Fable. A Curious Interpretation of the Wit of a Negress in Troubled Times” von 1997, das sie geschrieben und mit Laserschnitten illustriert hat.
Sie ist eine Einzelkämpferin in jenem amerikanischen Feminismus der Künstlerinnen, der sich um Judy Chicago sammelte und in dem Joyce Kozloff und Valerie Jaudon 1978 das Manifest der Pattern and Decoration – Bewegung publizierten – ein Text, der Sexismus und Rassismus geißelt, der fordert, die Trennung zwischen Kunst und Kunsthandwerk aufzuheben, Nadelarbeit ebenso zu achten wie Malarbeit, den Glaubenssatz zu streichen, Männer machten Kunst, Frauen nützliche Objekte, und die Trennung zwischen öffentlichem, männlichem und häuslichem, weiblichen Raum zu beseitigen.

Vor diesem Hintergrund ist es lohnend, einen Blick auf die Arbeit der Dorthe Goeden zu werfen, die die Trennung zwischen Kunst und Kunsthandwerk nicht mehr kennt – wie alle, die aus Holz, Stoff, Karton und Papier schnitzen und schneiden. In diesem Kreis ist sie die Silhouettenschneiderin, die ihre Farben auf Schwarz auf Weiß, Schwarz auf Schwarz und Weiß auf Weiß reduziert und sich in diesen reduzierten Licht-Schatten-Räumen empfindsam, sensibel bewegt. Es ist Handarbeit wie Brüsseler Spitzen, und sogar die letzten lasergeschnittenen Blätter sind auf dem gläsernen Bildschirm vorgezeichnet. Je kleiner die Blätter sind, umso mehr erscheinen sie wie Preziosen, die einen geschützten Raum beanspruchen; der Betrachter nähert sich ihnen vorsichtig und besorgt, wenn sie in den Raum hineingreifen. In der Reduktion wird die Virtuosität sichtbar. Gerd Mörsch hat Unrecht, an die affiches lacéreés der Décollagisten der fünfziger Jahre zu erinnern. Das Abreißen von öffentlichen Plakatwänden war eine anarchische Geste, die den Zufall einbezog. Dorthe Goedens energische Hand gestattet dem Skalpell keinen zufälligen Umweg, sie baut die Netze aus Bruchstücken der Erinnerung, aus Pflanzen, Rocaillen, Buchstaben und Zeichnungen, Wildwuchs und Ordnung wägend, spielerisch auf und heftet die „Papiervorhänge“ mit kleinen Nägeln an die Wand – wie Richard Tuttle seine Drahtstücke – so, dass Schatten sie verdoppeln.

Eine Insel der Seychellen heißt Silhouette nach Etienne de Silhouette, Finanzminister der Madame die Pompadour für ein Jahr – 1759 -, der den französischen Staat vor dem Bankrott retten wollte und die Reichen mit bedeutenden Steuern bedrohte. Seine Mahnungen zur Sparsamkeit führten zu dem Gerücht, in seinem Haus hingen statt Bildern an den Wänden Scherenschnitte, Schattenrisse. Er gab der neuen Mode, die Europa erfasste, den Namen.
Ohne Zweifel verbirgt sich in dem klaren zisterziensischen Bekenntnis der Dorthe Goeden zum Schwarz-Weiss des Schattenrisses der Protest des Eienne de Silhouette gegen die Verschwendung der Farben in der Malerei ebenso wie jenes Bekenntnis der Joyce Kozloff und Valerie Jaudon zu einer vegetalen Bildwelt, zum Dekor und Ornament, zur Ästhetik und ziselierten Schönheit – nun nicht mehr als Argument des kämpferischen Feminismus, sondern – in der biedermeierlichen Ära, in der wir leben – als gelöste Geste des Homo Ludens.



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